Samstag, 29. Oktober 2011

Späte Einsicht

Als ich gestern zufällig zum Fernseher blickte, sah ich Mahmud Abbas, wie er gerade einem israelischen Sender ein Interview gab. Auf eine Nachfrage des Reporters bezüglich der arabischen Ablehnung des UN-Teilungsplans 1947 gestand Abbas tatsächlich ein: "Es war ein Fehler. Es war ein gemeinschaftlicher Fehler der Araber."

Eine beachtlich späte Einsicht, aber immerhin. Dass sie allerdings nichts zu bedeuten hat, zeigte bereits der nächste Satz: "Aber müssen sie uns für diesen Fehler 64 Jahre lang bestrafen?"

Ja, so sind sie, diese Juden. Verdammt nachtragend. Da macht man einmal einen Fehler, und die verzeihen einem nie. Wir Deutsche kennen das ja. Aber all die Probleme nur wegen eines Neins bei der UNO?

"Präsident" Abbas, vielleicht haben sie da den ein oder anderen weiteren Fehler der Araber innerhalb dieser 64 Jahre vergessen, z.B.
  • die Kleinigkeit mit dem erklärten Vernichtungskrieg 1948
  • die Tatsache, dass man sich dabei auf die gute Tradition des Großmuftis von Jerusalem und Hitler-Vertrauten Mohammed Amin al-Husseini berufen konnte
  • den Wirtschaftskrieg gegen Israel, der dem Krieg von 1948 folgte und der nicht selten nicht so recht unterscheiden wollte zwischen Israelis und Juden insgesamt
  • die damit verbundene Blockade israelischer Handelswege - zu Wasser und in der Luft - welche letztlich zwei weitere Kriege mit verursachte
  • die Versuche, die Wasser des Jordans so umzuleiten, dass Israel trocken gelegt wird, was wiederum beinahe einen Krieg auslöste
  • die Terroranschläge der Fedajin in den 50er Jahren
  • die Terroranschläge in den 60er Jahren
  • die stets wiederholten und auch offen verkündete Neins zur Anerkennung Israels, zu Verhandlungen und zum Frieden mit Israel
  • der Terror der PLO und ihrer Komplizen in den 70er Jahren, inklusive Flugzeugentführungen und Massaker an israelischen Olympioniken
  • die Errichtung eines PLO-Staates im Libanon, von dem in den 70er und frühen 80er Jahren nicht nur Terrorangriffe ausgingen, sondern aus dem ein regelrechter Kleinkrieg gegen den Norden Israels geführt wurde, was 1982 zum nächsten großen Krieg führte
  • die erste Intifada
  • die zweite Intifada
  • erwähnte ich das mit dem Terror schon?
  • das Abschießen tausender Raketen aus dem Gazastreifen auf israelische Städte in Grenznähe
Es ist wirklich kaum zu verstehen, wie dieses Volk einem einen einzelnen Faux Pas vor 64 Jahren derart lange nachtragen kann.


    Mittwoch, 26. Oktober 2011

    Du bist Israel

    Im Ausland bist Du Israel. Vertrete uns mit Würde.


    Das stand neben der Eingangstür zum Flugzeug von El Al. Man stelle sich vor, das stünde auf einer Lufthansa-Maschine. Ich möchte ja nicht unbedingt als Abgesandter Deutschlands betrachtet werden. Und noch weniger wünsche ich mir das von den deutschen Touristen, die im Sommer wie Heuschrecken über berüchtigte Strände auf berüchtigten Inseln herfallen. Mir fiel sogleich das Zitat von Kurt Tucholsky ein: „Als deutscher Tourist im Ausland steht man vor der Frage, ob man sich anständig benehmen muss oder ob schon deutsche Touristen dagewesen sind. 
    Andererseits können die Massen deutscher Urlauber in Frankreich sich während der letzten 60 Jahre nicht allzu schlimm aufgeführt haben, sonst hätte das mit der deutsch-französischen Freundschaft sicher nicht so prima funktioniert.

    Meinen ersten intensiven Kontakt mit Israel hatte ich diesmal bereits in Berlin und zwar in Gestalt eines Sicherheitsbeamten, der mich eine knappe Stunde ausgefragt hat. Obwohl es übertrieben lang gedauert hat, kann dieser junge Mann durchaus als guter Vertreter seines Landes bezeichnet werden. Er war ausgesprochen freundlich und interessierte sich so sehr für mein Dissertationsthema, dass er sogleich einen Kollegen herbeirief, der mir wiederum erfreut erzählte, er würde selbst gerade über ein ähnliches Thema forschen. Trotzdem musste ich danach noch meinen Laptop hochfahren, um zum Beweis meiner Behauptungen E-Mails des Militärarchivs zu präsentieren.

    Mein erster Kontakt innerhalb Israels zeigte sich wiederum weniger geeignet, sein Land zu präsentieren. Die Wohnung in Ramat Gan, die ich für eine horrende Summe gemietet habe, stellte sich als winziges Dreckloch heraus – mit einer nicht verschließbaren Tür zum knapp ein Quadratmeter großen Badezimmer, sprich: einem Klo mit einer Dusche drüber. Der Vermieter forderte mich sogleich auf, die Miete für den nächsten Monat im Voraus zu bezahlen und wirkte insgesamt ziemlich zwielichtig, um nicht zu sagen kriminell.
    Zum Glück gibt es Couchsurfing. Ich wurde noch am nächsten Tag von einer netten Familie in Ganei Tikva aufgenommen, konnte die Wohnung also fluchtartig verlassen und vorsichtshalber gleich die SIM-Karte wechseln, damit der Vermieter endlich aufhört, mich mit Anrufen wegen der Miete zu belästigen. Jetzt wohne ich also wieder in der gleichen Gegend wie beim letzten Mal. Die hat sich allerdings innerhalb eines Jahres gewaltig verändert. Aus dieser schönen Wiese (aka trockenes Brachland, wenn's nicht gerade geregnet hat)

    ist dies geworden:

    Das war auch noch nicht vorhanden, als ich letztes Mal hier war:

    Und wo in Israel Wohngebäude entstehen, sind Kindergärten nicht weit:

    Die gibt's hier überhaupt an jeder Ecke. Die Demonstranten, die es vor einigen Monaten bis in die Tagesschau geschafft haben, mögen ja Recht haben damit, dass sich eine normale Kleinfamilie keine Wohnung im Zentrum Tel Avivs leisten kann. Aber ist das in London, Paris oder New York anders? Wo Wohnraum knapp ist, steigen die Preise. Dafür bauen die Israelis im Umland wie die Wahnsinnigen. Also ab nach Kiryat Ono - ist ohnehin viel schöner.

    Montag, 6. Dezember 2010

    Die Kritikneurose

    Wenn es um Israel geht, muss man in Deutschland vorsichtig sein. So lautet das Credo nicht weniger „kritischer“ Artikel und Fernsehbeiträge, wenn in Israel mal wieder etwas im Argen liegt. Denn Israelkritik sei in Deutschland nicht einfach: Sofort werde mit der Antisemitismuskeule gewedelt. Und außerdem müsse man als Deutscher eine besondere Sensibilität und auch Solidarität gegenüber Israel zeigen – wegen der Vergangenheit und so. Dieses Argument wird nicht selten sogar unsinnigerweise von Politikern und Journalisten gebracht, die als Israelfreunde gelten.

    Mit der Realität hat diese leicht pathologische Selbstreflexion allerdings herzlich wenig zu tun. Das dürfte klar werden, wenn man sich die Berichterstattung in deutschen Medien zu einem beliebigen Thema mit Israelbezug ansieht. Oder die Umfragen, denen zufolge die Mehrheit der deutschen Bevölkerung Israel als größte Bedrohung des Weltfrieden ausgemacht hat. Oder die Tatsache, dass der deutsche Bundestag in einer historisch einzigartigen Geste der Geschlossenheit einstimmig die Aufhebung der Blockade Gazas forderte – von einer solchen Einstimmigkeit ist das Parlament ansonsten bei jedem anderen Thema, selbst wenn es um die schlimmsten Diktaturen und Terrorregime der Welt geht, meilenweit entfernt.

    Israelkritik wird immer, überall und permanent in diesem Land geübt. Das Wort allein sagt viel aus über das Verhältnis der Deutschen zum Judenstaat. Ein solches Kompositum gibt es in der deutschen Sprache für kein anderes Land auf der Welt. Eine Google-Suche nach „Irankritik“ liefert 1.670 Ergebnisse und die Nachfrage „Meinten Sie: Iran Kritik?“. In Deutschland herrscht kein Kritikverbot, wie es so oft herbeiphantasiert wird, sondern eine Kritikneurose, ein geradezu pathologischer Zwang zur Kritik an der einzigen Demokratie im Nahen Osten, deren Schwächen und Probleme uns offensichtlich weit stärker umtreiben als gehängte Schwule und gesteinigte Frauen im Iran, inhaftierte und abgeschobene Regimekritiker in Kuba, drangsalierte Minderheiten in China oder massakrierte Flüchtlinge im Sudan.

    Ein Paradebeispiel für diese Neurose bietet die „neutrale“ Berichterstattung der Tagesschau zu den verheerenden Waldbränden im Norden Israels, die bereits über 40 Menschenleben gefordert haben. Seit drei Tagen kann ARD-Korrespondent Oliver Mayer-Rüth in seinen Berichten über die Katastrophe sich partout nicht verkneifen, zynisch und arrogant darauf hinzuweisen, dass man ja eigentlich irgendwie selbst schuld sei. Zuerst hieß es unter Berufung auf israelische Kritiker, die weder in der Jerusalem Post, noch der Ha’aretz, noch der New York Times zu Wort kommen, dass bei der Feuerwehr zugunsten des Militärs gespart worden sei. In einem späteren Kommentar hat Herr Mayer-Rüth zwar offensichtlich begriffen, dass die Tagesschau sich nicht einfach Kritik ausdenken kann, die in Israel keine Rolle spielt. Aber ein Hinweis auf die Unfähigkeit der „Militärmacht“ bei der Katastrophenbekämpfung, der nichts bleibe als, „den Kameras die Jugendlichen vorzuführen, die das Feuer ausgelöst haben sollen“ (was in Deutschland bekanntlich unvorstellbar wäre) lag ihm offenbar am Herzen. Es stellt sich die Frage, warum diese Leidenschaft zur kritischen Berichterstattung selbst zu den unangemessensten Anlässen bei Erdbeben auf Haiti oder Überflutungen in Pakistan oder Ostereuropa größtenteils ausbleibt.

    Aber die Feuerwehr in Israel war doch tatsächlich unfähig, ohne Hilfe der Lage Herr zu werden. Wie ließe sich da positiver berichten? Eine Antwort auf diese Frage bietet die New York Times, die in ihren Artikeln zum Thema wiederholt darauf hinwies, dass Israel bei Umweltkatastrophen häufig zu den ersten Staaten gehört, die (vor allem medizinische) Hilfe schicken. Man könnte auch auf Netanyahus Versprechen hinweisen, eine eigene Fliegerstaffel zur Waldbrandbekämpfung auszubilden, die dann der ganzen Region inkl. der Westbank zu Verfügung gestellt werde. Sätze wie diese wären in der Tagesschau jedoch undenkbar, schließlich ist man zur Neutralität verpflichtet – oder dem, was Herr Mayer-Rüth darunter versteht.


    Nachtrag: Selbstverständlich ist es nicht nur Sache der Tagesschau, "kritisch" über einen Waldbrand zu berichten. Auch die SZ gesellt sich zur Reihe der Kommentatoren, die angesichts einer Naturkatatrophe nichts als Häme für die Betroffenen übrig haben. Kommentiert wurde der Kommentar hier bereits von SoE.

    Samstag, 31. Juli 2010

    Das Leid vor der eigenen Haustür

    Fast eine halbe Million von ihnen wohnt zusammengepfercht in überfüllten Flüchtlingslagern. Als Bürger zweiter Klasse haben sie kein Recht auf Grundbesitz. Ohne Sondergenehmigung dürfen sie ihre Wohnorte nicht verlassen, und einige von ihnen können sich nicht einmal um eine solche Genehmigung bemühen, da sie keine Ausweispapiere besitzen und als illegale Einwanderer gelten. Aber auch denjenigen, die einen Paß besitzen, werden Grundrechte vorenthalten. So ist ihnen die Ausübung von 20 Berufszweigen verwehrt, darunter Medizin, Jura und Ingenieurwesen. Auch erhalten sie keinen Zugang zum Gesundheitssystem. Vor einigen Jahren wurde eines dieser Lager von der Armee umstellt und belagert. Dabei starben etwa 500 Menschen, darunter auch sechs UN-Mitarbeiter.

    Die Rede ist von Palästinensischen Flüchtlingen. Um ihr Leid zu lindern, steht in der libanesischen Hafenstadt Tripolis ein Schiff bereit, um Hilfsmittel nach Gaza zu liefern, auch wenn es dafür die israelische Blockade durchbrechen müßte. Geleitet werden die ausschließlich weiblichen Teilnehmer dabei von einem „harschen Gefühl der Ungerechtigkeit“.

    Fürwahr ein ziemlich einseitiges Ungerechtigkeitsempfinden, wenn man bedenkt, daß die oben beschrieben Flüchtlingslager sich nicht in Gaza befinden, sondern im Libanon. Aber dieser Form der omnipräsenten Nahost-Heuchelei geht es nicht um das Leid der Opfer, sondern um die einzigen und ewigen Täter.

    Freitag, 28. Mai 2010

    Eine andere Welt

    Meine Woche in einer anderen Welt ist gerade zu Ende gegangen: Keine Begrüßung über eine Gegensprechanlage mit Überwachungskamera am Eingang, kein unfreundliches Sicherheitspersonal, kein Zaun mit Stacheldraht und kein Photoverbot. Kurz, die Atmosphäre im israelischen Staatsarchiv in Jerusalem ist durchaus angenehm; und das im wahrsten Sinne, denn die Klimaanlage gleicht lediglich die sengende Sonne vor dem Fenster aus, ohne gleich für arktische Kälte zu sorgen.

    Hinzu kommt, daß ich endlich echtes Papier in die Hand bekam und nicht stundenlang auf eingescannte Dokumente starren mußte. Als ich einen Angestellten schüchtern fragte, ob ich die Quellen photographieren dürfe, schien er verwirrt über die Frage, und als ich dadurch ermutigt dann auch noch wissen wollte, ob ich gar meinen Laptop mit in den Leseraum nehmen dürfe, hat er mich ausgelacht.

    Und als ich schon ganz begeistert, das vierzig Jahre alte Protokoll eines Treffens des ehemaligen israelischen Außenministers mit dem damaligen US-Präsidenten in der Linken, die Kamera in der Rechten, auf meinem Monitor las, es sei ein freier W-Lan-Internetzugang gefunden worden, fiel mein Blick zu meiner grenzenlosen Verzückung auf folgenden Hinweis an der Wand:


    Angestellter/Forscher/Gast: Bitte bewahren Sie die Stille. Danke.

    So macht Arbeiten doch Spaß - dachte ich mir, bis dann plötzlich eine Alarmsirene losheulte und alle freundlich aber bestimmt aufgefordert wurden, sich unverzüglich in den Bunker im Keller zu begeben.


    angeleitet wurde die Übung von diesem freundlichen

    Herrn (markiert) von einem von Israels geschätzt 178
    Sicherheitsdiensten (wegen der Uniformfarbe tippe ich
    mal auf eine Einheit der Grenzpolizei)

    Diese Woche fand nämlich eine großangelegte Heimatschutzübung statt. Es ging also für zehn Minuten ab in den Keller. Nun habe ich nach all den Wochen im Archiv doch noch etwas erlebt, bevor ich nach Hause fliege.

    Sonntag, 25. April 2010

    Jom Ha-Azma'ut - Unabhängigkeitstag

    Eigentlich sollte ich ja am 19. April zurück nach Israel fliegen, am Jom Ha-Sikaron, dem "Gedenktag an die gefallenen israelischen Soldaten und die Opfer des Terrorismus". Zu spät, um die Sirene mitzuerleben, aber rechtzeitig für den am Abend beginnenden Jom Ha-Azma'ut, den 62. israelischen Unabhängigkeitstag.

    Leider wollte der blöde Vulkan, daß ich die Feiern in den Straßen von Tel Aviv verpasse. Als ich nachts um vier das Grundstück zu meiner Wohnung betrat, bekam ich aber zumindest noch einen Eindruck, wie's hier wohl ausgesehen hatte:


    Und auch jetzt noch wirkt das Straßenbild irgendwie verändert.










    Gut, Flaggen sind hier eigentlich immer ziemlich gegenwärtig, aber das

    ist dann doch ziemlich auffällig.

    Dienstag, 20. April 2010

    Zürcher Intermezzo - Teil II

    Ob meine Reisen nach Israel auf mich abfärben? Der Flughafen Zürich hat darum gebeten, daß heute ausschließlich Gäste mit gültigen Buchungen zum Flughafen kommen. Folglich habe ich brav versucht, telephonisch meinen Flug umzubuchen. Das erwies sich als unmöglich, weil bei der Hotline einfach kein Durchkommen war. Eine kurze Prüfung der Onlinebuchungsmöglichkeiten wies mir für Freitag den ersten buchbaren Flug aus. Damit wollte ich mich schon abfinden, doch bin ich dann doch noch in den Bus gestiegen und zum Flughafen gefahren. Im Gepäck meine Kamera, um das Chaos und die Menschenmassen vor den Schaltern zu dokumentieren.

    Doch da habe ich wohl die Rechnung ohne die Schweizer Mentalität gemacht. Kein Gedränge, keine Panik, kein Sturm auf die Vertreter der Airlines. Stattdessen stand ich eine knappe halbe Stunde in einer Schlange und bekam dann ohne große Diskussion einen Platz in einem Flieger nach Tel Aviv reserviert. Abflug ist noch heute nacht. Manchmal bringt es also etwas, sich nicht an die Regeln zu halten bzw. den Kontakt von Angesicht zu Angesicht zu suchen. Gut, als waschechter Israeli hätte ich vermutlich an der Schlange vorstürmen und die Dame am Schalter anbrüllen müssen, aber ich kann mich ja nicht von jetzt auf gleich vollkommen Entgermanisieren. Dem würde der Kellner aus der Bar gestern sicher zustimmen, der mich mit "hey Deutscher" ansprach, bevor er nachfragte, welche Größe mein Getränk haben sollte.

    So verlasse ich also schon sehr bald das Land des lustigen (und gelegentlich kaum verständlichen) Dialekts, des unbezahlbaren öffentlichen Nahverkehrs und der Unmöglichkeit des einen-einzigen-Schritt-Tuns-ohne-irgendwo-eine-Bank-zu-Sehen und auch die
    pittoreske WG mit dem Charme eines rustikalen Bauernhauses auf dem Land, in der ich die letzten zwei Tage gewohnt habe.

    Ein Teil dieses Charmes war der Stille geschuldet,
    die ungestörtes Arbeiten auf dem Balkon ermöglichte. Seit heute früh merkt man jedoch wieder, daß das Haus quasi direkt neben dem Flughafen steht. Und schon fühle ich mich an den Kühlschrank in Kirjat Ono erinnert...

    Montag, 19. April 2010

    Zürcher Intermezzo (unfreiwillig)

    Nachdem ich heute mein Hotelzimmer am Flughafen Zürich räumen mußte, wurde mir glücklicher- und netterweise in der WG einer Schweizer Bekannten in Rümlang bei Zürich Zuflucht gewährt. Ich bin froh, daß mir damit das Schicksal vieler anderer erspart blieb, die auf irgendwelchen Flughäfen festsitzen und zwischen ihren Koffern liegend darauf hoffen, daß der Eyfja… Eyjafjallflayla… Eyjafjallakölulöluuulklulukjölldingsberg mal endlich Ruhe gibt. Aber auch ohne Hotelkosten ist dieses Land teuer genug, und so bleibt die legendäre Schokolade pekuniär unerreichbar in der Auslage glitzernder Edelschokolaterien (mag sein, daß so ein Wort eigentlich gar nicht existiert. Dann hab ich’s eben jetzt erfunden).


    Trotz gesicherter Wohnsituation macht es keinen Spaß, alle acht Stunden über eine weitere Verlängerung der Sperrung des Schweizer Luftraums informiert zu werden. Eine Planung, wie ich nun letztendlich nach Israel kommen soll, ist so kaum möglich, da ich beständig hoffe, daß die Flieger bald von Zürich aus wieder starten werden. Sollte sich bis morgen früh nichts geändert haben, werde ich aber wohl in Erwägung ziehen müssen, mit dem Zug nach Österreich oder Süddeutschland zu fahren, um dann mit einer anderen Gesellschaft durch die Wolke des grauenhaften vulkanischen Todes zu fliegen – bis ich mich dann endlich in der Sicherheit der Reichweite syrischer Scud-Raketen in Händen libanesischer Vollbartträger wissen darf. Immerhin erstattet mir die Swiss das Geld für das Flugticket zurück. Eine feine Geste, die mich die Verspätungen meiner letzten beiden Swiss-Flüge nach Zürich und Hannover vor knapp zwei Wochen großzügig vergessen läßt.


    ... to be continued ... glaube ich

    Montag, 5. April 2010

    Bebilderter Pessachgruß aus Kirjat Ono

    Als vor knapp 3500 Jahren die Hebräer aus Ägypten auszogen, waren sie ziemlich in Eile. Deswegen hatten sie beim Brotbacken keine Zeit mehr, den Teig gehen zu lassen. Dummerweise fand dieses kleine kulinarische Detail irgendein Chronist so bemerkenswert, daß es Eingang in die Bibel fand. Und deswegen lebe ich armer Goi in Israel seit einer Woche ein tristes, brotloses Leben. Denn es ist Pessach, und an religiösen Feiertagen verurteilen diejenigen, die das mit den Geschichten von vor tausenden von Jahren ein bißchen zu ernst nehmen, den Rest der Bevölkerung mit freundlicher Unterstützung des säkularen Staates, arme Touristen in rein jüdischen Wohnvierteln eingeschlossen, zur Kollaboration bei ihren merkwürdigen Bräuchen, die irgendwie fast immer nur daraus bestehen, auf etwas zu verzichten, das Spaß macht oder lecker ist (Purim bildet da wohl eine Ausnahme). Aber im Moment ist ja ohnehin Hochsaison für die Bekloppten der verschiedensten Denominationen.

    Iß doch Matze (nicht Herrn Wittschieben!) zum Frühstück, mit Nuß-Nougat, riet mir meine Mutter.
    Denn trockenes Knäckebrot ohne Geschmack kannten die Juden schon, bevor der erste Ur-Schwede herausfand, daß man scharfe Gegenstände nicht nur wunderbar in andere Menschen reinstecken, sondern auch dazu verwenden kann, sich den Urwald aus dem Gesicht zu schneiden. Gesagt, getan (also das Mazze-Essen, nicht das Zotteln-Abschneiden), aber da könnte man sich auch ein dünnes Holzbrett mit Nuß-Nougat bestreichen. Der Beitrag des Mazze-Brots zum Gesamtgeschmack ist etwa vergleichbar, nur funktioniert die Verdauung da besser als bei Zellulose.

    Muß ich also auf alternative Nahrungsmittel ausweichen. Ha! Von wegen! Es wäre kein jüdischer Feiertag, wenn man seinen Unannehmlichkeiten so leicht entgehen könnte. Denn um alles richtig zu machen – man weiß ja nie, was der verrückte Alte da oben so im Sinn hat – verzichtet man vorsichtshalber gleich auf alle Nahrungsmittel, die irgendwie „gehen“ könnten (also Teigwaren, aber auch Reis! und sogar Hülsenfrüchte), und zwingt auch alle anderen zum Verzicht. Im Supermarkt sieht das dann so aus.











    Um mich von diesem Schock zu erholen, suchte ich bei einem Spaziergang nach den schönen Seiten meiner Nachbarschaft – und fand auch einige.









    Neben den hier überall blühenden, leuchtend bunten Bouganvillae stieß ich auch auf einen netten Park. Gan Ha-Giborim heißt er, Heldengarten.
















    Solche Kriegerdenkmale gibt es ja auch in Deutschland, aber die Panzer im Sonnenuntergang fand ich dann doch etwas martialisch.

    Bei genauerem Hinsehen findet sich dann jedoch die Friedensbotschaft des Parks. Hier wird der Gefallenen der Kriege gedacht in der Hoffnung, daß es keine Kriege mehr geben wird.


    Alles in allem ist mein Viertel hier eigentlich ganz schön.

    Samstag, 20. März 2010

    Ein paar Gedanken aus Kirjat Ono

    Ich habe mich mittlerweile einigermaßen eingelebt, hier in meiner kleinen Wohnung in Kirjat Ono. Da sich meine 36 Quadratmeter allerdings im Keller befinden, muß ich mich zumeist mit dem ausgesprochen ungemütlichen, kalten Licht nackter Energiesparlampen abfinden. Außerdem ist es ganz schön kalt. Während draußen also die Sonne scheint und ich am Wochenende im Garten in der Sonne brate, sitze ich unter der Woche entweder in einem unterkühlten Archiv oder in meiner unterkühlten Wohnung. Somit ergaben sich für die ersten Tage als wichtigste Punkte auf dem Einkaufszettel: Pulli, Lampenschirme, Topfpflanzen.

    Schön wäre es auch, wenn ich den gewaltigen Kühlschrank, den man hier auf dem Bild sieht, irgendwie dazu bringen könnte, nicht so einen Lärm zu machen. So muß ich immer warten, bis der Kompressor kurz Pause macht, um dann ganz schnell einzuschlafen, bevor er wieder anspringt.


    Zuerst aber erst einmal ab ins Einkaufszentrum, und siehe da: Nichts. Kein Blumengeschäft und auch kein Einrichtungsgeschäft. Vergebens suchte ich nach einem Laden mit dem üblichen Nippes, um die Wohnung etwas zu verschönern. Kein israelisches Nanu Nana weit und breit. Außerdem mußte ich feststellen, daß israelische Männer offensichtlich keine Kleidung benötigen. Das zumindest muß man aus den Geschäften im hiesigen Einkaufszentrum schließen, die beinahe ausschließlich Klamotten für Frauen verkaufen. Doch auch dieses Angebot scheint nicht empfehlenswert zu sein, denn modisch ist Israel im Winter keine Reise wert. Eine Mischung aus alten Schlabberpullis und Leggins oder zu engen oder auf irgendeine Art nicht sitzenden Jeans begegnen mir hier überall. Noch nie habe ich so viele furchtbare Hosen gesehen wie im winterlichen Israel. Vielleicht ist das ja der Grund, warum vor knapp zwei Wochen bei der Eröffnung der ersten H&M-Filiale in Tel Aviv beinahe eine israelische Mode-Intifada ausgebrochen wäre.

    Auf die mangelnde Auswahl an Männerpullovern im Einkaufszentrum angesprochen, antwortete mir mein Vermieter, er kenne sich mit so etwas nicht aus, seine Frau kaufe ihm seine Kleidung. Danach habe ich meine Fragen nach Zimmerpflanzen, Lampenschirmen und Kerzen runtergeschluckt ich hatte plötzlich die Befürchtung, falsche Vermutungen zu wecken.
    Einige weitere israelische Eigenheiten sind mir in den letzten Tagen und Wochen aufgefallen, die mir erwähnenswert scheinen:

    Pssst, das ist eine Bibliothek

    Ich sitze jeden Tag sieben bis acht Stunden im israelischen Militärarchiv. Um auf das Gelände zu kommen, muß ich in eine Überwachungskamera gucken und meinen Namen in eine Gegensprechanlage sagen. Dann werde ich am Empfang nach einer Waffe und oder Kamera gefragt. Beides müßte ich abgeben, bevor ich den Lesesaal betreten darf. Jetzt hat der geneigte Leser bestimmt ein Bild vor Augen: ein großer Raum mit Bücherregalen an den Wänden, Tische mit kleinen Leselampen, an denen Leute sitzen und angestrengt in alten Akten blättern, das leise Kratzen von Bleistiften auf Papier. Von wegen! Aus dem Nebenraum dringt lautes Singen durch die Wand, eine Gruppe Soldatinnen schäkert lachend mit dem Sicherheitspersonal und im Lesesaal brüllen mehrere Leute gleichzeitig in ihre Handys. Als ich neulich telephonieren mußte, habe ich mein ausgeschaltetes Handy aus dem Spind geholt und dann zum Reden das Gebäude verlassen. Das war für den Sicherheitsmann am Empfang vermutlich genauso unverständlich wie die Tatsache, daß ich ihm jeden Tag einen guten Morgen wünsche und mich mit „auf Wiedersehen“ verabschiede. Und das auch noch, nachdem er mich einmal, als ich wiederholt auf seine Frage zu leise und wohl in zu undeutlichem Hebräisch geantwortet hatte, durch die Gegensprechanlage so angeschrieen hat, daß ich kurz aber intensiv darüber nachgedacht hatte, ob ich heute statt zu arbeiten nicht doch lieber weinend weglaufen und mich irgendwo verstecken sollte.

    Darf’s ein bißchen mehr sein?

    Brot in Packen von 500 Gramm? Nix da. Drei oder vier tiefgefrorene Hähnchenschnitzel in einer Packung. Von wegen. Israelische Supermärkte richten sich ganz offensichtlich an Großfamilien als wichtigste Zielgruppe. Als jemand, der nur für sich allein einkauft, stehe ich immer wieder verzweifelt vor den Regalen und suche nach kleinen Portionen. Ich frage mich, wie das die Studenten hier machen. Ob die alle in Wohnheimen oder WGs wohnen? Und kann mir jemand sagen, wie ich jemals die 32 Rollen Klopapier aufbrauchen soll?

    Aber nicht nur die Produkte gibt es in großen Mengen – auch die Mitarbeiter. Im Supermarkt des Einkaufszentrums sind fast immer mindestens fünf Kassen besetzt, selbst wenn kaum Kunden im Laden sind. Doch diese für jeden Deutschen eigentlich wunderbar erfrischende Tatsache wird dadurch getrübt, daß die Damen an der Kasse mit einer derart quälenden Langsamkeit arbeiten, daß ich mich jedes Mal wieder ärgere, bereits des Hörbuch ausgeschaltet zu haben, als meine erste Milchpackung eingepiepst wurde. Bis zum Joghurt hätte ich Moby Dick bestimmt noch geschafft. Jede Aldikassiererin ist schneller als fünf dieser dicken Russinnen zusammen.

    Ob das der Grund ist, warum manche Leute einfach in der Mitte ihres Einkaufs schon mal ihren Wagen in die Schlange stellen, um ihn dann nach und nach in aller Seelenruhe zu füllen. Gut, auf mich wirkt das eher wie ein dreister Versuch, sich vorzudrängeln…

    Winter – arktische Kälte

    Ich hab letztlich doch noch einen Pullover gefunden – aus Fleece. Hätte nicht gedacht, daß man so etwas in Israel überhaupt braucht, aber da hatte ich mal wieder die Leistungsfähigkeit israelischer Klimaanlagen unterschätzt. Währenddessen ist draußen vor dem Fenster nach meinem Empfinden längst Sommer. Vorgestern jedoch hat es noch einmal geregnet. Es war auch ziemlich windig, so daß die 20 Grad sich etwas kühler angefühlt haben. Trotzdem fand ich die Daunenjacken, die mir auf der Straße begegnet sind dann doch etwas übertrieben.